MIETZI
Der letzte Kuss
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Meine Kleine wurde unheilbar krank. Ich hatte sie in den letzten Tagen sehr gepflegt und doch noch versucht sie aufzupäppeln, obwohl klar war, dass sie nur noch ein paar Tage zu leben hatte. Mehr als Schleckpaste oder Katzenmilch konnte sie auch nicht zu sich nehmen. Manchmal leckte sie an der Pastete, aber sie hat sie nicht mehr fressen können. Auf die Schleckpaste hatte sie sich aber dennoch gefreut, die ich ihr ca. alle 30 Minuten reichte. Mehr als drei Mal schlecken konnte sie aber nicht.
Schließlich kam der Tag, an dem sie völlig kraftlos wurde und auch ihre Lieblingspaste nicht mehr wollte. So wusste ich, dass es sich nur noch um einige Stunden handeln konnte, ihr für immer Lebewohl zu sagen.
Sie konnte sich auch nicht mehr auf den Beinchen halten, so lag sie auf meinem Schoß. Sie drehte ihr Köpfchen zu mir etwas hoch und es kam noch ein lautloses Miau. Ich musste weinen, denn es wirkte so friedlich - in diesem Miau lag so viel. Nunmehr zählten wir die Minuten.
Die Nacht brach ein. Ich wollte ihren letzten Atemzug nicht verpassen, wollte bei ihr sein und so legte ich eine Nachtwache ein. Ich habe 36 Stunden nicht geschlafen. Schließlich musste ich mich doch etwas hinlegen, da mein Rücken schmerzte. Die Kleine hatte ich in Kopfhöhe neben mich gelegt. Dann spürte ich an meinem Kopf ganz wackelige Beinchen und ihr kleiner Kopf stieß zwei Mal völlig wackelig und völlig unkontrolliert gegen meinen Kopf. Und ich wusste, dass es ihr letzter Kuss war. Sie hatte sich mit ihrer letzten Kraft etwas aufgerichtet um mir noch einen letzten Kopfstoß zu geben. Dann legte sie sich wieder hin und hat sich ganz dicht an mich gedrückt. Nach kurzer Zeit hatte sie drei Mal geröchelt und dann hörte ihr Herz auf zu schlagen.
Schließlich habe ich ihr sanft meinen letzten Kuss aufs Köpfchen gedrückt.
Mietzi:
Du wurdest mir mit den Worten übergeben, dass du keine Schoßkatze bist.
Du hast meinen Schoß nie verlassen wollen, warst immer in meiner Nähe, brauchtest Körperkontakt, auch in den letzten Stunden deines Lebens.
Du wurdest mir schon krank und mit vielen Narben übergeben.
Du hast den Kleiderschrank geöffnet und dich auf meine T-Shirts gelegt, wenn Dolly dich von mir ferngehalten hat.
Du hast dich unter der Bettdecke von meinen Füßen nach oben zu mir gerobbt, wenn Dolly aus Eifersucht dich von mir fernhalten wollte.
Du hast anfangs jeden Abend mit der Dolly darum gekämpft, neben mir im Bett zu schlafen, bis ich euch beigebracht habe, dass ihr beide Platz habt.
Du machtest große Kulleraugen, wenn du gemerkt hast, dass ich vorhabe das Haus zu verlassen.
Du hast mich angesehen und dein Blick fragte, ob ich auch wiederkomme.
Du hast mit deinem Stofftier im Mäulchen so laut geweint, wenn ich das Haus verlassen habe oder einfach nur in den Keller ging.
Du hast dein Stofftier auf meine Schuhe oder an den Hauseingang oder auf meinen Platz auf dem Sofa gelegt.
Du hast mich an der Tür empfangen, wenn ich wiederkam und bist mir nicht mehr von der Seite gewichen.
Du hattest jeden Abend und jeden Morgen ein Kuschelritual mit mir.
Du hast mir jeden Tag viele Kopfküsschen gegeben, bist dafür auch auf alle Kommoden und Arbeitsplatten gesprungen, um mit mir gleich hoch zu sein.
Du hast neben mir gesessen, egal wo ich saß oder gearbeitet habe.
Du hast mit der Pfote auf meine Nase gedrückt, wenn ich nachts keine Luft bekam.
Du hast nachts im Haus an jeder Zimmertür Alarm geschlagen, wenn ich in Ohnmacht fiel und hast die Menschen zu mir geführt.
Du hast dich fest an mich gedrückt, wenn es mir nicht gut ging
Du hast mich mit deiner drolligen Art zum Lachen gebracht.
Du hast so viel mehr gemacht, was ein Mensch nie gemacht hat
*
Ich begrüße dich immer noch jeden Morgen an deinem Grab.
Ich verabschiede dich immer noch jede Nacht an deinem Grab.
Ich schaue mehrmals am Tag zu deinem Grab runter, so wie ich immer mehrmals am Tag nach dir geschaut habe, ob es dir gut ging.
Ich weine, weil du gestorben bist.
Ich weine um die Zeit und Momente, die du nicht mehr erleben kannst.
Ich weine, weil du in deinem Leben viel Leid ertragen musstest und ich dir noch viel mehr schöne Zeit gewünscht hätte.
Ich weine, weil du nicht mehr in die Küche gerannt kommst, wenn es Fresschen oder Leckerli gibt.
Ich weine, weil ich deine Kulleraugen nicht mehr sehe.
Ich weine, weil ich dein Fell nicht mehr spüre.
Ich weine, weil ich deinen sanften Pfotendruck in meinem Gesicht nicht mehr spüre.
Ich weine, weil ich nicht weiß, ob ich noch mehr für dich hätte tun können
Ich weine, weil so ein kleines Wesen so viel in mir bewirkt hat.
Ich weine, weil dein letzter Kuss so unbeschreiblich ausdrucksvoll war.
Wie viele Tränen hat ein Mensch?
Quelle: Veröffentlicht am 14.07.2021
mit Genehmigung der Urheberin -
Beate Lehnardt
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